Leserbrief von Dr. med. Stephan Heinz, Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates, zum Artikel Muss jeder Meniskusriss operiert werden? in der NZZ am Sonntag vom 19.12.2020
Liebe Leserinnen und Leser, liebe Redaktion
Wie Frau Witte vielleicht nicht weiss, gibt es in der Schweiz eine Liste „ambulant vor stationär“, in der auch Meniskusoperationen aufgeführt sind. Erstaunt es deshalb, dass die Zahl der ambulanten Kniearthroskopien zugenommen hat? Müsste man vielleicht die Anzahl der vorgängig stationär erbrachten Leistungen abziehen?
In Bezug auf das Operationshonorar darf man Frau Witte ebenfalls beruhigen, die erwähnten CHF 276 wird keinen Operateur animieren, eine Meniskusoperation durchzuführen, in der hierfür aufzuwendenden Zeit verdient er mit Sprechstundentätigkeit mehr als mit dieser Operation, insbesondere ein Belegarzt, bei dem in der Zeit der operativen Tätigkeit die Praxis bei weiter bestehenden Festkosten „leer steht“, keine Erträge erwirtschaftet werden, nur kostet.
Dass eine Belegarzt zusätzlich die technische Leistung zugesprochen erhalte, beweist, dass hier unsorgfältig recherchiert wurde. Im Belegarztsystem erbringt die Klinik oder das Spital eine technische Leistung, der Belegarzt die ärztliche.
Recherchieren Sie mal, wieso die Anzahl der Knie-Totalprothesenoperationen gestiegen ist, nicht nur in der Schweiz, auch in Deutschland und fragen Sie sich, was die alternative Behandlung eines mittels der bekannten konservativen Massnahmen nicht schmerzfrei zu kriegenden Kniegelenkproblems ist, wenn die Kniegelenksspiegelung bei degenerativen Veränderungen – und dies absolut berechtigt! – kritisch indiziert werden muss.
Fragen Sie mal die Kostenträger an, wieso physiotherapeutische Massnahmen immer wieder limitiert werden, wenn diese im Vergleich zu gewissen Operationen doch eher zu indizieren sind – das Zauberwort ihrer Antwort heisst WZW.
Die Realität ist halt jene, dass in der Entscheidungsfindung für eine adäquate und individuell auf das Problem und die Patientin adaptierte Therapieform viele Faktoren ein Rolle spielen, Alter, Gewicht, Knochenmarkoedem, Stoffwechselerkrankungen, Beinachse, Stabilität, Erfahrung des beurteilenden Spezialisten, um ein paar zu nennen.
Meine Replik ist keinesfalls als Rechtfertigung für unsinnige operative Eingriffe gemeint, gegen solche positionieren sich auch die Fachgesellschaften, vielmehr als CAVE vor unnötigem Wiederkäuen von längst bekannten Studien und noch schlimmer vor der falschen Verwendung von statistischen Zahlen und Aussagen mit dem Ziel eines Bashings gegen die Spezialisten – es gibt halt sicher auch Spezialisten*innen, die nicht sauber indizieren, so wie es Journalisten*innen gibt, die unsauber recherchieren. Ich messe deren Berufsstand nicht alleine an diesen.
Es lebe die Mündigkeit der Patient*innen, den Arzt oder die Ärztin ihres Vertrauens auszuwählen, wir kaufen ja auch nicht jede Zeitung oder jedes Buch!
Mit freundlichen Grüssen
Stephan Heinz
Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates