Am 1. Mai 2022 hat Yannis Papadaniel von der Fédération Romande des Consommateurs (frc) einen 21-seitigen Bericht über Arzthonorare im Zusatzversicherungbereich veröffentlicht. Er erhebt diverse Vorwürfe, von denen ein Teil aus Sicht der SBV durchaus berechtigt sind, welche in vielen Punkten aber am Thema und den Ursachen vorbeigehen. Er nimmt auch Bezug auf das Tarifreferenzwerk der SBV, jedoch mit unzutreffenden Angaben und einer sehr eigenen Interpretation der Sach- und Rechtslage.
Der Autor zeigt anhand des Beispiels einer Rechnung, die der Patientin „Annie“ gestellt worden war, wie intransparent fakturiert wurde. Er nimmt dabei mehrfach Bezug auf Bestimmungen der OKP. Allerdings vermischt er dabei das privatrechtliche Vertragsverhältnis im Bereich der Zusatzversicherung – das auch beim Selbstzahler gilt – mit sozialversicherungsrechtlichen Aspekten der Grundversicherung. So schreibt er, dass im Jahr 2020 1‘368‘316 Hospitalisationen gezählt worden seien. Er verschweigt, dass es sich hierbei um sämtliche Hospitalisationen, ungeachtet des Versicherungsstatus handelt. Da weniger als 30 % der Bevölkerung eine Zusatzversicherung haben, sind alle Hospitalisationen, bei denen der Patient ausschliesslich OKP-versichert ist, nicht relevant. Y. Papadaniel differenziert zwar, dass Kosten in der Höhe von 11 Mrd. zulasten der OKP und 4 Mrd. zulasten der Zusatzversicherungen anfallen. Dennoch suggeriert er damit, man könne bei allen Hospitalisationen sparen. Ebenso beschränkt sich die Pflicht auf die Zusendung einer Rechnungskopie an den Patienten auf Leistungen, die im Rahmen der OKP erbracht worden sind. Für Mehr- und Zusatzleistungen, sprich Leistungen, die nicht von der OKP vergütet werden, gelten die Bestimmungen des Privatrechts, welche davon abweichende Vereinbarungen zulassen.
Es lohnt sich, die verschiedenen Rechtsbeziehungen sorgfältig zu prüfen: Einerseits besteht zwischen dem Patienten und dem Spital, bzw. der Klinik, ein Behandlungsvertrag auf Basis OKP. Der Belegarzt hat seit der Vergütung über die Fallpauschale keinen direkten Vertrag mit dem Patienten im stationären OKP-Bereich. So ist er dem Spital gegenüber verpflichtet, den Patienten zu behandeln, die Rechnung über die medizinische Leistung, welche in der Fallpauschale integriert ist, stellt er dem Spital, bzw. der Klinik. Ist der Patient zusatzversichert oder will er auf eigene Rechnung Mehr- und Zusatzleistungen in Anspruch nehmen, entsteht bei einem Belegarzt ein Vertragsverhältnis zwischen Arzt und Patient. Vertragsgegenstand ist in dem Fall die Erbringung von Mehr- und Zusatzleistungen gegen eine entsprechende Vergütung. Dieses Rechtsverhältnis ist vielen Patienten nicht bewusst, ebenso wenig die daraus resultierende Aufklärungspflicht bezüglich der Kosten. Dass dies von Ärzteseite nicht aktiv kommuniziert wird, darf durchaus kritisiert werden. Das kommt im Artikel aber zu wenig zum Vorschein. Ebenso fehlt diese wichtige rechtliche Einordnung, die auch dem Patienten Rechte und Pflichten zuweist.
Bei der Mehrleistung steht gemäss BGE 125 III 345 die freie Arztwahl und die besondere Qualifikation oder gar Überqualifikation des Arztes an erster Stelle. Das bedeutet, wenn bei einer Behandlung nicht zwingend ein Facharzt mit langer Erfahrung und Routine benötigt wird, könnte auch ein Assistenzarzt beigezogen werden. Wird nun anstelle des geringer qualifizierten Arztes ein Facharzt gewählt, so ist dies ein Mehrwert für den Patienten. Die vom Bundesgericht erwähnte Überqualifikation, die mit der freien Arztwahl einhergeht, ist ein mindestens so wichtiges Element der freien Arztwahl im weiteren Sinne wie die Frage, ob man lieber Dr. X oder Dr. Y wählt. Diese «freie Arztwahl» kann sich auf das gesamte Ärzteteam oder auch nur auf Teile beziehen. In den meisten Fällen wird die freie Arztwahl an den fallführenden Arzt delegiert. Dies ist sinnvoll, denn der Arzt kann auf diese Weise aufgrund seines Fachwissens ein optimales Team zusammenstellen. Darum ist beispielsweise der Vorwurf, ein Anästhesist hätte ohnehin beigezogen werden müssen, zu kurz gegriffen: Inwiefern ein Anästhesist mit einer entsprechenden Qualifikation im Fall «Annie» nötig war, geht aus dem Bericht nicht hervor. Wäre ein Assistenzarzt ausreichend, so wäre hier keine Mehrleistung gegeben.
Es ist zutreffend, dass Tarife in der Zusatzversicherung aufgrund wettbewerbsrechtlicher Bestimmungen nicht erlaubt sind. Es ist daher nicht erstaunlich, sondern im Grunde genommen sogar Pflicht, dass verschiedene Honorarmodelle angewendet werden. Dieser Zustand führt gezwungenermassen zu schlechter Transparenz und Vergleichbarkeit der Rechnungen. Daher ist es legitim, dass eine Konsumentenschutzorganisation den Zustand kritisiert. Sie unterlässt es aber, auf Lösungen hinzuweisen: Der Arzt hat im Rahmen des Vertrags über die Erbringung von Mehr- und Zusatzleistungen eine Aufklärungspflicht, die auch die Information über Kostenfolgen beinhaltet. Im konkreten Fall liegt der Verdacht nahe, dass dies nicht erfolgt ist. Eine Erklärung ist, dass jeweils der Zusatzversicherer grosszügig einspringt und die Rechnung ohne grosse Rechnungsprüfung begleicht. Dies ist prinzipiell möglich, auch wenn unbestrittenermassen das Vertragsverhältnis zwischen Arzt und Patient besteht. Darum ruft die SBV an dieser Stelle ihre Mitglieder dazu auf, die Aufklärungspflicht auch über die Kostenfolgen ernst zu nehmen und vorgängig transparent zu informieren. Auf der anderen Seite sind auch die Patienten gefordert, diese Aufklärung einzuverlangen. Dass die frc hierauf nicht aufmerksam macht, ist bedauerlich.
Welche Möglichkeiten stehen dem Patienten offen, wenn er mit einer Rechnung nicht einverstanden ist? Zuerst einmal kann er darauf bestehen, dass er vorgängig über die Kosten informiert wird. Wenn der Arzt dies von sich aus nicht macht, darf, bzw. muss der Patient nachfragen. Die Versicherer selbst haben ebenfalls eine Pflicht zur Rechnungsprüfung. Je nach dem Versprechen, das sie den Versicherten abgegeben haben, können sie die Höhe der Rechnung nur beschränkt infrage stellen. Etliche Versicherer haben es unterlassen, in ihren AVB entsprechende Einschränkungen gegenüber dem Patienten zu verankern.
Die Angemessenheit eines Honorars darauf zu reduzieren, welchen Stundenlohn dies ausmache, ist in mehrfacher Weise polemisch und nicht zielführend. Der Autor vermischt hierbei Lohn und Honorar. Er suggeriert, der Eingriff bei Annie würde einen Stundenlohn von mehr als CHF 1’000.00 bedeuten. Dass das Honorar allerdings alle Kosten beinhaltet, die der Arzt im Rahmen dieses Eingriffs zu tragen hat, wird dabei nicht erwähnt. Diese sind nicht unbeachtlich: Es kommen neben den Fixkosten für seine Praxis auch noch seine eigenen Fixkosten, z.B. eigene Fortbildung, administrative Tätigkeit ohne Ertrag, Aufwendung im Rahmen der Ausbildung in der Klinik, etc. hinzu. Schliesslich ist der Arzt als Selbständigerwerbender allein verantwortlich für seine berufliche Vorsorge. Das alles reduziert den Betrag, über den der Arzt frei verfügen und den man somit mit einem Stundenlohn vergleichen kann, erheblich.
Ebenso ist die angesprochene Massnahme der Expertengruppe keineswegs unumstritten: Die 38 Kostendämpfungsmassnahmen zur Entlastung der OKP wurden in Fachkreisen teilweise begrüsst, teilweise auch kritisiert. Bei der Massnahme, die Honorare für Mehr- und Zusatzleistungen zu deckeln, besteht nur scheinbar ein Bezug zur OKP. Die Expertengruppe behauptet, dass die fehlende Deckelung zu einer Mengenausweitung bei den Operationen führen würde, was auch auf die OKP Auswirkungen hätte. Das Schweizerische Gesundheitsobservatorium (Obsan) hat dies allerdings mit einer Studie widerlegt.
Der Autor nimmt weiter Bezug auf das Tarifreferenzwerk der SBV. Die Behauptung, es würde ein Betrag von CHF 900.00 für die von der SBV empfohlenen Tarife erhoben, ist falsch. Dies ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass sich der Autor nicht direkt bei der SBV erkundigt hat. Das Tarifreferenzwerk der SBV hilft, den Arztanteil einer Fallpauschale zu bestimmen. Dieses Instrument dient primär zur Aushandlung des OKP-Arzthonorars zwischen den Belegärzten und den Kliniken. Dies liegt in der Autonomie der Spitäler und Belegärzte, analog zu Lohnverhandlungen mit angestellten Ärzten. Diese Vertragsautonomie ist auch politisch gewollt. Teilweise wird das Tarifreferenzwerk nun auch angewendet, um ein Arzthonorar im Zusatzversicherungsbereich zu bestimmen. Wollen Zusatzversicherer das Tarifreferenzwerk hierfür verwenden, so haben sie gleich wie die Spitäler und Kliniken eine Nutzungslizenz zu erwerben. Die Mitglieder der SBV haben kostenlos Zugriff auf die Daten. Somit ist es ihnen möglich, den Patienten auch über die Mehrkosten zu informieren, ohne hierfür etwas bezahlen zu müssen.
Der Autor verweist auf die Bemühungen der Helsana, die Mehrleistungen genauer zu definieren. Dies ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, jedoch werden einmal mehr die Zusatzleistungen nicht berücksichtigt. Richtig ist, dass eine Mehrleistung nur dann in Rechnung gestellt werden darf, wenn sie erbracht worden ist. Die freie Arztwahl ist als Mehrleistung definiert, die in Rechnung gestellt werden darf, und zwar primär dem Vertragspartner, also dem Patienten.
Fazit der SBV: Die berechtigten Vorwürfe sind nur beschränkt der Ärzteschaft zuzuweisen. Das Fehlen von Tarifen im Zusatzversicherungsbereich ist eine klare Folge des politischen Willens und der Kartellgesetzgebung. Die Aufklärungspflicht ist eine Aufgabe, die der Arzt wahrnehmen muss, der Patient aber einfordern sollte. Dass der Autor nicht darauf eingeht, ist bedauerlich, da dies ein konstruktiver Hinweis gewesen wäre. Stossend ist zudem, dass der Autor Fragen der OKP mit solchen aus der Zusatzversicherung vermischt. Hier wäre mehr Sorgfalt angebracht gewesen.